PM 02/2021 Weitere Öffnung der Schulen – Bildungsgerechtigkeit vs. Infektionsschutz

Neun Wochen nach Ende der Weihnachtsferien kehren nun am heutigen Montag, nach den Grundschülern und Abschlussklassen auch die übrigen Jahrgänge aller Schularten in die Schulgebäude zurück, zumeist im Wechselmodell. Nur bei besonders hohen Inzidenzwerten über 100 bleibt es vorerst beim Distanzunterricht.
18. Dezember 2020 bis 15. März 2021 – das sind 86 Tage. In dieser Zeit mussten die Schüler*innen im Distanzunterricht arbeiten und lernen, ohne soziale Kontakte und mit einigen Problemen. Natürlich wollen wir alle, dass Schule wieder normal wird. Wir Lehrer*innen wollen wieder live und von Angesicht zu Angesicht unterrichten und unsere Schüler*innen fördern. Die Kinder und Jugendlichen wollen wieder ihre Freund*innen in der Schule sehen und auch aus dem heimischen Kinderzimmer rauskommen. Die Eltern wollen wieder mehr Normalität für Ihre Kinder und weniger Stress für die Familie. Alles verständlich. Aber ist JETZT wirklich die beste Zeit für die Öffnung? Ist wirklich ALLES getan und gut vorbereitet?

Reihentestungen
Teil der Bayerischen Teststrategie ist z.B. die freiwillige Reihentestung von Lehrkräften und Schülern. Diese kam allerdings wie so oft in letzter Zeit zu spät und musste von den Schulen in Eigeninitiative organisiert werden. Als die ersten Kollegien sich haben testen lassen, waren die Grundschüler und Abschlussklassen bereits mehrere Tage wieder in der Schule und die Kolleg*innen an den Schulen hatten Kontakte mit Hunderten von Schüler*innen. Reihentestungen für Schüler*innen anzubieten und durchzuführen, ist für viele Schulen derzeit eine organisatorische Mehrbelastung, die schlicht nicht leistbar ist. Dienstleister und Organisationen wie das Rote Kreuz ins Boot zu holen ist nötig.
Verpflichtende Reihentestungen von allen Lehrer*innen und Schüler*innen, eine Woche vor Unterrichtsbeginn wäre hier die richtige und eine echte „Strategie“ gewesen!

Selbsttests
Eine weitere Maßnahme ist der Einsatz von kostenlosen, freiwilligen Selbsttests. Zunächst nur für Lehrpersonal und Schüler*innen ab 15 Jahren zur Eigenanwendung zu Hause angedacht, sollen nun auch jüngere Schüler*innen unter Aufsicht in der Schule getestet werden. Die Teilnahme ist für die Schüler*innen freiwillig, die Zustimmung ihrer Erziehungsberechtigten erforderlich. Sofern im Einzelfall keine Testung gewünscht wird, ist eine Teilnahme am Unterricht trotzdem möglich. Diese erfreuliche Neuerung wurde den Schulleitungen am letzten Donnerstagabend mitgeteilt. Hieß es zuvor, dass Selbsttests für die Schüler*innen ab 15 Jahren mit nach Hause gegeben werden sollen, so wird dies nach den Osterferien nur noch in der Schule stattfinden. Planlosigkeit und ein ständiges Hin und Her erleichtern den Kampf gegen das Virus ungemein! Das schafft Vertrauen! Zudem gibt es leider noch nicht an allen Schulen die versprochenen Selbsttests Liefertermin ungewiss! Bei Aldi und Lidl liegen sie seit über einer Woche im Regal – was sagt das bitte über unsere Regierung aus, wenn die Discounter das schneller hinbekommen?
In der Anleitung dieser Selbsttests wird darauf hingewiesen, dass bei der Anwendung bei Kindern der Test mit Vorsicht von einem Erwachsenen durchgeführt werden soll. Wie sieht es mit der Qualifikation und vor allem der Haftung der „betreuenden“ Lehrkraft aus? Testzeit pro Person: über 15 Minuten. Woher nehmen wir diese Zeit? Was geschieht, wenn ein Selbsttest in der Schule dann positiv ist? Datenschutz? Infektionsschutz für alle Beteiligten während der Testung? Viele ungeklärte Fragen. Aufsicht bedeutet Verantwortung! Eine Lehrkraft ist kein medizinisches Personal und kann keine Verantwortung für die korrekte Durchführung von Tests übernehmen! Schulleitungen und Lehrkräfte verzweifeln immer mehr an den absurden Ideen der Ministerien, die den Blick für die tägliche Praxis und die Realität an Schulen schon lange völlig verloren haben.
Der Gipfel der Absurdität: Der „Tag des offenen Klassenzimmers“. Ein Top-Vorschlag des Kultusministers Piazolo: Grund- und Förderschüler*innen in Hotspot-Regionen im bayerischen Grenzraum zu Tschechien sollen noch vor Ostern die Möglichkeit erhalten, an einem Tag pro Schulwoche ihre Schule zu besuchen. Das Virus macht an diesem Tag Pause. Nach einem weiteren Vorschlag von Kultusminister Michael Piazolo soll Wechselunterricht durch das häufige Testen auch in Regionen mit hohen Corona-Zahlen möglich sein. "Ich könnte mir vorstellen, dass wir über die Methode des intensiven Testens auch bei Sieben-Tage-Inzidenzen über 100 mindestens die Grundschulen wieder öffnen können", sagte Piazolo am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur in München. Zudem wird darüber nachgedacht, die vierten Klassen als Abschlussklassen einzustufen, damit man bei zu hoher Inzidenz trotzdem Wechselunterricht durchführen kann – schließlich ist der „Abschluss“ Übertritt gefährdet! Grundschul-Abitur vor Gesundheitsschutz? Das darf nicht sein!
Verpflichtende (verfügbare) Selbsttests mindestens zweimal die Woche von allen Lehrer*innen und Schüler*innen unter Anleitung von geschultem medizinischen Personal pünktlich zu Unterrichtsbeginn wäre hier die richtige und eine echte „Strategie“ gewesen!

Impfungen
Die Tests allein reichen nicht aus. Allen Lehrkräften aller Schularten vor allem in Corona-Hotspots muss sofort ein Impfangebot gemacht werden. Der zögerliche Anfang für die Grund- und Förderschulen kam wieder einmal zu spät. Bereits im Januar/Februar hätten diese Impfungen stattfinden müssen. "Bevor nicht Test- und Impfangebote für alle Schulen aller Schularten vorliegen, können wir Schule nicht weiter öffnen", sagt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. Der Gesundheitsschutz für Erzieher*innen, Lehrkräfte, Schüler*innen und deren Angehörige muss Vorrang haben.
Mancherorts wurden von der Elternschaft Petitionen gestartet, Landräte in den sozialen Medien bekniet, Schulen und Kitas offen zu lassen – auch bei einem Inzidenzwert über 100. Die Eltern können nicht mehr, durchaus verständlich. Doch welches Signal ist das bitte für unsere Lehrerinnen und Lehrer, für unsere Erzieher*innen und Kinderpfleger*innen? Die Kitas waren die ganze Zeit mehr oder weniger offen. Das Personal völlig ungeschützt. Impfangebote? Fehlanzeige! In manchen Landkreisen wurden die Bürgermeister und Stadtmitarbeiter geimpft, während 86jährige Großväter und Kita-Personal noch nicht einmal einen Erst-Impftermin genannt bekommen haben. Impfversagen und ein Skandal!
Impfangebote weit vor der Öffnung der Schulen und Kitas wäre hier die richtige und eine echte „Strategie“ gewesen!

Hygienekonzept/Rahmenhygieneplan
In der letzten Pressekonferenz am 11.02.2021 und in den Wochen danach wurde von Seiten des Ministeriums immer wieder eine aktualisierte Fassung des Rahmenhygieneplanes vom 11.12.2020 für Schulen versprochen und angekündigt. Sportunterricht: Ja oder Nein? Essen im Ganztag: Ja oder Nein? Viele Fragen waren ungeklärt.
Am Freitagnachmittag (nach 14 Uhr) wurde er dann - vier Wochen später- veröffentlicht und bescherte so den Schulleitern (mal wieder) ein tolles, arbeitsreiches Wochenende, an dem die Unterrichtsorganisation geklärt wurde, wie es mit den Ganztagsangeboten und der Mittagsverpflegung aussieht und welche Maßnahmen für den Infektionsschutz aktuell wichtig sind. Danke dafür! Die Grundschulen und Abschlussklassen waren zu diesem Zeitpunkt übrigens bereits drei Wochen im Wechselunterricht in der Schule. Vielleicht ist das einigen Eltern zu spät und sie nehmen die nun verlängerte Möglichkeit wahr, ihr Kind vom Präsenzunterricht formlos „freizustellen“.
Transparenz in der Entscheidungsfindung und frühzeitige Informationsweitergabe an die Schulleitungen weit vor der Öffnung der Schulen wäre hier die richtige und eine echte „Strategie“ gewesen!
Die Mutante hängt wie ein Damoklesschwert über uns, eine echte Teststrategie fehlt, exponentielles Wachstum winkt. Die dritte Welle ist bereits da und trotzdem lockern wir jetzt? Es fehlt eine wirkliche Vision, eine Perspektive, ein Plan für die nächsten Wochen.
Der BLLV fordert deshalb eine langfristige, durchdachte und sichere Impfstrategie: Alle Lehrer*innen und Erzieher*innen bei einer freiwilligen Impfung priorisieren! Keine Alibi-Testungen: Jetzt ein nachhaltiges und durchführbares Testkonzept. Tests für alle, nur dann macht es Sinn! Lehrkräfte, Schulleitungen und Verwaltungsangestellte sind nicht für die Durchführung, Registrierung oder Überprüfung der Tests verantwortlich. OP-Masken für alle, nicht nur für die Lehrer*innen.
Alle sind sich doch einig: Der größtmögliche Gesundheitsschutz der gesamten Schulfamilie muss immer an oberster Stelle stehen. Wir müssen ALLES tun, um die Infektionsgefahr in der Schule und der Kita zu minimieren – für unsere Schüler*innen und Kolleg*innen. Eine Strategie ist ein genauer Plan für ein Verhalten, der dazu dient, ein Ziel zu erreichen. Man versucht dabei alle Faktoren von vornherein einzukalkulieren.
Für heute wünsche Ich allen Schülerinnen und Schülern und allen Kolleginnen und Kollegen in Schule und Kita einen guten Start und alles Gute – passen Sie gut auf sich auf und bleiben Sie bitte alle gesund!

Herzliche Grüße
Max Lachner, Vorsitzender BLLV-Kreisverband Coburg-Land

PM 01/2021 Erste Woche Distanzunterricht im neuen Kalenderjahr

Die erste Woche Distanzunterricht im neuen Kalenderjahr liegt hinter uns. Trotz intensiver Vorbereitungen in den letzten Monaten und Wochen war auch der Start in den zweiten Lockdown an vielen Schulen sehr holprig. Videokonferenzportale und Lernplattformen stürzten ab, die Last der gleichzeitigen Anfragen und Logins konnte oft technisch von den überlasteten Servern nicht gestemmt werden.
Die Schulen und Lehrkräfte haben in den letzten 300 Tagen nach den ersten Schulschließungen im März 2020 viel dazugelernt. Es wurden Instrumente zur Online-Kommunikation und Lernstoffvermittlung eingeführt, Apps eingekauft und Leihgeräte für Schüler angeschafft. Dennoch tritt noch vieles auf der Stelle: Es fehlt an der technischen Ausstattung der Schüler*innen und Lehrkräfte, an der digitalen Infrastruktur - besonders für die Gruppen von Kindern, die schon im normalen Präsenzunterricht benachteiligt sind. So gibt es z.B. in der Regel in Asylbewerberwohnheimen keinen Internetzugang, sozial schwache Familien mit mehreren Kindern können sich die Anschaffung von Laptops oder Tablets nicht leisten. Die Tagesschau bezeichnete Deutschland diese Woche als Entwicklungsland in Bezug auf digitales Lernen und benennt dafür die Gründe: Versäumnisse in der Vergangenheit. „Online-Unterricht hätte schon seit einem Jahrzehnt möglich gemacht werden müssen, nicht erst jetzt für den Ausnahmezustand der Corona-Zeit!“ Jetzt den Schulen und Lehrer*innen einen Vorwurf zu machen, ist Kritik an der falschen Stelle.
Es ist eine stressige Zeit für alle – Schüler*innen, Eltern und Lehrkräfte. Die Umstände, die sich aus der derzeitigen Situation heraus ergeben, den nervenaufreibenden Drahtseilakt zwischen Distanzunterricht, Notbetreuung, Infektionsschutz und Arbeitsleben spiegeln sich teilweise in den Rückmeldungen der Eltern wider: „Warum findet in der Notbetreuung kein Unterricht statt?“, „Wieso benutzen Sie nicht das gleiche Kommunikationsmedium wie die Schule meines anderen Kindes? Unseres stürzt immer ab“, „Wieso sind es nur sechs Stunden Unterricht pro Tag und nicht acht oder gar zehn?“, „Mein Kind kann die Aufgaben nicht allein lösen und ich habe nach der Arbeit nicht die Kraft, mit ihm noch zu lernen“, „Wieso bekomme ich jede Woche so viele Blätter in meinen Briefkasten?“, „Wieso muss ich mir die Arbeitsblätter ausdrucken, ich möchte, dass sie mir per Post zugestellt werden!“
Die Lehrkräfte arbeiten im Distanzunterricht mehr und zeitintensiver – sie stehen unter Volllast: Videos drehen, App-Inhalte aussuchen, Powerpoints erstellen, digitale Klassenzimmer mit Inhalten bestücken, Materialpakete ausfahren, Videokonferenzen organisieren, Telefonate führen, ständig erreichbar sein für die Wünsche und Nöte der Eltern und Schüler*innen. Am Wochenende dann die Rückläufe korrigieren und neue Pakete zusammenstellen und „nebenbei“: die Notbetreuung stemmen. Einen Tag von 8 bis 13 Uhr oder länger mit bis zu 15 Kindern aus 15 unterschiedlichen Hausständen in einem Raum zu arbeiten, mit Maske und allen 20 Minuten eiskaltem Stoßlüften – dies zu meistern ist kein „Nebenjob“ zur normalen Unterrichtstätigkeit. Dazu kommen die Ungewissheit und Angst, sich oder andere dabei mit dem Virus anzustecken. Die Kinder und Eltern sind ebenfalls mehr als im Präsenzunterricht gefordert.
BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann nennt das Streichen von Ferien ein „No-Go“. Bildungserfolg braucht Rhythmisierung, braucht den Wechsel von Anspannung und Ruhephasen. Sicher gibt es etwas aufzuholen und wir werden diesen Lernlücken noch die nächsten Jahre hinterherlaufen. Deshalb fordert der BLLV: kein Aktionismus jetzt! Die Ferien sind für alle Beteiligten notwendig, um gesund zu bleiben!
Allen Lehrer*innen sage ich auch als Vater von vier Kindern DANKE für ihre hervorragende Arbeit in dieser schwierigen Ausnahmesituation. Allen Eltern und Schüler*innen viel Kraft und Erfolg im weiteren Distanzunterricht. Gemeinsam schaffen wir das! Bleiben Sie bitte alle gesund!

Herzliche Grüße
Max Lachner, Vorsitzender BLLV-Kreisverband Coburg-Land